Der am 8. Mai 1893 in Olpe geborene Bernhard Rudolf Bertram kam 1937 zum St.-Josef-Hospital in Gelsenkirchen-Horst. Sein Medizinstudium, das er mit Beginn des Ersten Weltkriegs für den Kriegsdienst unterbrechen musste, schloss er 1922 mit der Promotion in Köln ab. Er war ab 1931 Facharzt für Chirurgie im katholischen Marienkrankenhaus in Hamburg. Dort war er auch Lehrer an der Krankenpflegeschule und unterrichtender Arzt in Rot-Kreuz-Kursen. Rudolf Bertram folgte dem NS-Regime nicht widerspruchlos: Wegen „hetzerischer“ Äußerungen über Missstände im NS-Staat hatte ein Kollege ihn offenbar bei der Ärztekammer denunziert. Zwar konnte sich Bertram aus Mangel an Beweisen entlasten, doch war dadurch, laut eigener Aussage, ein beruflicher Aufstieg in Hamburg unmöglich geworden. Im Herbst 1937 ergriff er seine Chance und wechselte nach Gelsenkirchen, als Leiter der Chirurgischen Abteilung des Horster St. Josef-Hospital.
1938 heiratete Rudolf Bertram die aus Ostfriesland stammende Margot Thekla Anna Maria Fenger. Auch sie war Ärztin, hatte im ostfriesischen Norden die gynäkologische Praxis ihres Vaters übernommen, und war seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Hamburger Marienkrankenhaus tätig. Nach ihrem Umzug nach Gelsenkirchen lebte das Ehepaar mit seinen sechs Kindern und einer Haushälterin in der Zeppelinallee 17, im Süden der Stadt. 1957 zog die Familie in die Wittekindstraße 43. Beide waren gläubige Katholiken und dem gesellschaftlichen Wohl verpflichtet. Margot Bertram engagierte sich viele Jahre als Vorsitzende des Sozialdienstes Katholischer Frauen in Gelsenkirchen. Rudolf Bertram wie auch seine Frau boten neben seiner Tätigkeit im Krankenhaus Rote-Kreuz-Kurse an.
Die Luftangriffe der Alliierten trafen auch das Ruhrgebiet schwer. Besonders betroffen war der nördliche Teil Gelsenkirchens. Ab 1944 musste das Krankenhaus in Horst Teile der Chirurgie in das katholische Marienhospital in Rotthausen auslagern, da der Betrieb immer schwieriger wurde. Ein Bombenangriff am 11. September 1944 auf die Gelsenberg Benzin AG forderte zahlreiche Tote. Wenige Monate zuvor war ein Transport mit etwa 2.000 ungarischen Jüdinnen vom Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz zur Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen gebracht worden. Sie mussten unter schwierigsten Bedingungen Räumungsarbeiten auf dem Gelände des zerstörten Hydrierwerks Gelsenberg übernehmen. Weil den Zwangsarbeiterinnen der Zutritt zu Bunkern und Schutzgräben verboten war, waren sie ungeschützt den alliierten Angriffen ausgesetzt. 138 Zwangsarbeiterinnen starben an den schweren Verletzungen.
Um die Versorgung der Zwangsarbeiterinnen, die bei dem Bombenangriff schwer verletzt wurden, kümmerte sich die Belegschaft des nahe gelegenen St. Josef-Hospitals, unter Federführung von Dr. Bertram. Etwa neunzig Zwangsarbeiterinnen mussten notdürftig versorgt werden. Einige von ihnen ließ der Chefarzt nach Bottrop ins Krankenhaus überstellen, andere wurden nach Rotthausen ins Marienhospital gebracht. Mindestens 17 Zwangsarbeiterinnen erlagen ihren schweren Verletzungen, zahlreiche Frauen wurden auch, nachdem ihre Verletzungen als geheilt galten, von der Gestapo abgeholt.
Doch gelang es Dr. Bertram und seinen Pflegekräften, einige der Zwangsarbeiterinnen im Krankenhaus zu behalten. Wiederholt erklärte er der Gestapo, dass diese noch nicht genesen seien. Später erinnerten sich Überlebende an die Fürsorge und Zuwendung durch den Arzt, der ihnen immer wieder Mut zusprach. Sie wurden von eingeweihten Krankenschwestern und -pflegern versorgt. Siebzehn ungarische Jüdinnen überlebten aufgrund dieses mutigen Einsatzes, der durchaus gefährlich war.